SEMIOTIK DER KULTUR ALS ÜBERSETZUNG VON SCHRIFTZEICHEN BEI YOKO TAWADA
$avtor = ""; if(empty($myrow2["author"])) { $avtor=""; } else { $avtor="автор: "; } ?>National and Kapodistrian University of Athens, Greece
baglaia@hotmail.com
Abstract
Literary essays are not just objectification of real cultural artifacts, but also performances of culture. But how does culture become literarily organized on the levels of expression and contents? What happens when a topic becomes the meeting of foreign and own culture? Striking examples of such cultural overlaps are the literary essays of the Japanese German author Yoko Tawada. The previous article investigates how, for Tawada, elements of Japanese culture are translated for the German reader through the rendering of Japanese ideograms; how commonalities and differences are expressed literarily through the function of the alphabet and the ideograms. My thesis thereby is that Tawandas constant desemanticizing is set in the writing in order to avoid a static concept of culture.
Literarische Texte sind nicht nur Objektivationen realer kultureller Artefakte, sondern performieren auch Kultur. Wie wird jedoch Kultur auf der Ausdrucks- und der inhaltlichen Ebene literarisch dargeboten? Was passiert, wenn das Thema der Literatur die Begegnung der fremden mit der eigenen Kultur ist? Ein eklatantes Beispiel für solch kulturelle Überlappungen sind die literarischen Essays der deutschsprachigen Autorin japanischer Herkunft Yoko Tawada, da in ihren Schriften das „Fremde“ und das „Eigene“ zum Gegenstand ihres Schreibens wird.
Die Problematisierung des „Fremden“ und des „Eigenen“ wird nicht nur auf der konnotativen Ebene, sondern auch auf der denotativen Ebene konfiguriert. Daher werde ich im Folgenden untersuchen, wie bei Tawada Elemente der japanischen Kultur für den deutschen Leser durch die Wiedergabe der japanischen Ideogramme „übersetzt“, wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede durch die Funktion des Alphabets und der Ideogramme literarisiert werden. Schließlich, wie die Funktion des den Texten inhärenten semiotischen Systems zu beschreiben ist. Meine These ist dabei, dass durch die Wiedergabe der japanischen Ideogramme und die kulturellen Übersetzungen der Wörter, Desemantisierungsprozesse in Gang gesetzt werden, um einen statischen Kulturbegriff zu unterlaufen.
1. Hommage an Paul Celan
Im Essay Die Krone aus Gras. Zu Paul Celans ‚Niemandsrose‘ (Tawada 2007: 63-84) versucht Tawada den Zugang des Dichters Paul Celan zum Japanischen zu beschreiben. Bereits in Japan und ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein, war sie von den japanischen Übersetzungen des Dichters beeindruckt. In ihrem bekannten Essayband Talisman behauptet die Protagonistin, dass es nicht genüge zu behaupten, dass Celans Gedichte übersetzbar sind, sondern, dass sie „ins Japanische hineinblicken“ (Talisman, 121). Daher unternimmt sie in ihrem Essay Die Krone aus Gras eine Art literarische Übersetzung, die Celans Gedicht Zweihäusig, Ewiger interpretiert. Ihre Profession als Übersetzerin führt sie dazu, im Wort des Gedichtes „Bettstatt“ zweimal den Signifikant des „Doppel-T“ zu registrieren. Beim Übersetzen ins Japanische erkennt sie, dass ihr dieses Wort deswegen optisch aufgefallen war, weil im japanischen Wort für Rose 薔薇 „bara“ ebenso zweimal das „Doppel-T“ steht. Die Protagonistin erklärt, dass das Wort aus zwei Ideogrammen besteht und jedes von ihnen im obersten Teil dasselbe Radikal hat, das wie ein Doppel-T aussieht (Die Krone aus Gras 2007: 66).
In Bezug auf die Schreibintention Tawadas ist darauf hinzuweisen, dass japanische Grapheme in einem deutschen Text beiden Sprachen und Kulturen näher rücken, sodass dem Mythos „Japan als die absolute Fremde“ entgegensteuert wird. Dieses Näherrücken im Übersetzen der japanischen Schrift ins vertraute Alphabet des Lesers überwindet das Fremdartige der Schrift. Grenzziehungen werden kulturell aufgelockert, da die Trias „Sprache ‒ Schrift ‒japanische Kultur“, die als abgeschlossener Kulturkreis im europäischen Bewusstsein eingegangen ist und die absolute Fremde konstruiert hat, aufgelockert wird (Schaffers: 299-301). Nicht zufällig erörtert Tawada in Bezug auf Grenzen, dass während in Celans Gedicht Chymisch die Alchemie durch die Vermischung von Mineralien ein Wunder versucht, in Die Krone aus Gras durch Grenzüberschreitung quasi eine andere Art von Wunder vollbracht wird:
Ein Stein, der im Bereich der Mineralogie bleibt, kann nicht blühen. Aber wenn er in die Botanik eintritt, kann er sich auftun wie eine Rose. (64)
An anderer Stelle erörtert Tawada, dass Michel Foucault die Botanik des 17. und 18. Jahrhunderts als den Versuch charakterisiert, die betrachteten Dinge durch ihre geometrische Form in die Nähe der Wörter zu rücken (Tawada 2007: 65). All diese Ausführungen münden schließlich darin, dass die Botanik in die Richtung der Symbolik der Poesie gerückt wird, da durch sie Grenzen aufgehoben werden und sogar ein Stein verlebendigt wird. Semiotisch kann hinter der Substitutionsmetapher folgende Homologie (Johansen 2003, 3-4: 315-329) konstatiert werden:
Offensichtlich wird im Zuge dieser Metapher auf eine Opposition – die semantisch unpassenden Prädikate „Stein“ und „Leben“– durch den Kontextwechsel der Fiktion, die eine Ähnlichkeit zwischen Quelle (Stein) und Ziel (Leben) herstellt, verwiesen (Sonesson 2003, 1-2: 25-37).[1] Die Funktion der Fiktion besteht schließlich darin, durch Abstraktion gemeinsame Eigenschaften herzustellen (Rozik 2003, 1-2: 93-107).[2]
Dieser bewegliche Umgang mit Grenzen wird an anderer Stelle des Essays auf den Akt der Übersetzung übertragen, was schließlich im Überschreiten von Kulturgrenzen mündet. Dabei wird das Beispiel mit dem „Doppel-T“ entsprechend im Wort „Bettstatt“ und dem Ideogramm (bara) auf den Punkt gebracht:
Man kann meistens die Formen, die man im Schriftbild eines Gedichtes entdeckt hat, nicht übersetzen. […] In der Übersetzung blüht nicht immer an derselben Stelle dieselbe Rose wie im Original. Aber sie blüht. Sie blüht manchmal an einer unerwarteten Stelle und macht auf eine Form aufmerksam, die sonst weiter unter der Rose stehen würde (69).
Mit anderen Worten wird die Übersetzung zu einem third space (Bhabha 2000: 57)[3], der sprachliche und kulturelle Metamorphosen hervorbringt, durchgeführt. Übersetzungen werden somit zu kulturellen Knotenpunkten. Die Gemeinsamkeit des obigen Beispiels besteht darin, dass über die Übersetzung der japanischen Schrifteichen und die Wiederholung des Sinns von „Rose“ eine auffallende, morphologische Symmetrie („Doppel-T“) sowohl im Alphabet also auch in den japanischen Schriftzeichen hergestellt wird, die im Zuge der Übersetzung zu einem flexiblen Umgang mit Äquivalenzen führt. Das bedeutet, dass zwar eine Sprache und Kultur nicht 1:1, also der eine Primärcode in einen anderen übersetzt werden kann, aber im Kontextwechsel ein kommunikativer, kulturübergreifender Gewinn gesehen wird. Ähnlich wie im alltäglichen Sprachgebrauch die Kreation neuer Zeichen darauf beruht, dass wenn einmal über ein gemeinsames sprachliches Zeichensystem verfügt wird, es recht einfach ist, ständig neue Konventionen festzulegen, z. B. durch Sinnzuweisungen neu erfundener Wörter (Adamzig 22004: 22), so macht hier die Ich-Erzählerin darauf aufmerksam, dass sie durch die Übersetzung eines fiktionalen Textes neue kulturelle Bedeutungen zum Vorschein bringt.
Ähnlich verhält es sich auch im nächsten Absatz:
„Es ist Gras darüber gewachsen“: Das ist ein verbreitetes Bild für die Vergessenheit. Unter dem Boden, der mit Gras bedeckt ist, liegen die Toten. Das Ideogramm, das „begraben“ bedeutet 葬, enthält auch das Radikal „die Krone aus Gras“.
Die „Krone aus Gras“ ist also ein Radikal, das im Japanischen „Gräser-Typen“ zum Ausdruck bringt, es ist sogar auf der Inhaltsebene fast identisch mit dem deutschen Spruch, was durch die Übersetzung offenkundig wird. Die Similarität, die dadurch gestiftet wird, untergräbt den Mythos der „absoluten Fremde Japans“ und enthüllt überraschenderweise Gemeinsamkeiten, dort wo sie niemals vermutet worden wären, nämlich in der Gegenüberstellung der Schriftzeichen. Im Grunde genommen ist die Protagonistin auf stetiger Spurensuche im Sinne Derridas (1976, 32)[4], denn erst durch das Spiel der Differenzen, die im obigen Beispiel auch kulturell bedingt sind, ‒ „Es ist Gras darüber gewachsen“ ist ein deutscher Ausdruck, und das Radikal ist eben japanisch ‒ werden Grapheme als Spuren aufgefasst, die wiederum gegenseitige Spuren aufweisen. Darüber hinaus ist offensichtlich, dass die Zuweisung des Signifikanten auf das Signifikat völlig aufgelöst wird. Es wird ausschließlich auf der visuellen Ebene der Schrift fokussiert, nämlich das abgebildete „Doppel-T“ sowohl im Alphabet als auch im japanischen ikonographischen Schreibstil ist dafür verantwortlich, dass etwaige Assoziationen bzw. Verschiebungen und Verweise zu interkulturellen Gemeinsamkeiten führen.
In Bezug auf die Sprachreflexionen Tawadas scheint sie Belege für frühere Auffassungen zu liefern. In ihren Poetik-Vorlesungen (Tawada 1998, 30) heißt es, dass der Buchstabe etwas Rätselhaftes habe, „weil er kein Zeichen ist, das für ein Signifikat steht. Er ist weder ein Abbild noch ein Piktogramm.“ Er ist aber ein Graphem, mit dem hier experimentiert wird, sein jeweiliges Signifikat erfährt er über die Zuordnung zu anderen sowohl alphabetischen als auch ideogrammatischen Signifikanten.
Die Suche nach solchen Spuren auf visueller Ebene vergegenwärtigt Gemeinsamkeiten, die schließlich nicht nur den Mythos der „absoluten Fremde“ untergraben, sondern statische Kulturbegriffe, die Kulturen als abgeschlossene Kreise betrachten, als obsolet erklären. Die Tatsache, dass Tawada dies auf der Grundlage der Übersetzung japanischer Schriftzeichen exemplifiziert, stellt den besonderen ästhetischen Reiz ihres Schreibens dar.
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass es sich um literarische Essays handelt, was bedeutet, dass es sich um ein Schreiben handelt, das aus dem Wechselspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit hervorgerufen wird. Konkret geht es bei Tawada um eine metasprachliche Wirklichkeit, da sie in den Essays die Gedichte Paul Celans zu interpretieren versucht:
Übrigens ist „Konjugation“ gleichzeitig ein biologischer und ein linguistischer Begriff.
Ich grabe, du gräbst, und es gräbt auch der Wurm, und das Singende dort sagt: Sie graben.[5]
Die Konjugation ist hier keine trockene Aufgabe für Sprachschüler, sondern eine musikalische Methode der Dichtung. Sie bringt wie in der Musik die Wiederholung mit Variationen hervor (Die Krone aus Gras:75).
Es ist offensichtlich, dass hier die metasprachliche Funktion die poetische verdrängt. Die Wiederholung, von der die Rede ist, bestätigt, dass das Prinzip der Äquivalenz, das durch die Similarität der Konjugation „und“ hervorgebracht wird, ein poetisch wirksames Mittel ist. Im Wortlaut Roman Jakobsons würde das heißen, dass das „und“ ein eigentümliches grammatisches Kennzeichen ausmacht, das als vertikale Similarität (Jakobson 1979: 254) bezeichnet werden kann, da seine Wirkung auf der syntagmatischen Ebene zu registrieren ist. Essayistisches Interpretieren funktioniert ähnlich wie bei der Beseitigung von Kommunikationsproblemen, denn „nur durch explizites Verbalisieren kann über den kognitiven Bereich der emotive Inhalt vermittelt werden“ (Batsalia 1997:91). Dass jedoch die Sphären der Metakommunikation und der Poesie nicht an allen Stellen so deutlich voneinander getrennt sind, wurde am Beispiel mit der „Rose“ und des „Steins“ gezeigt, das metaphorisch ausgedrückt wurde. Insofern besteht der besondere ästhetische Reiz im Schreiben Tawadas metaphorisch in der Äquivalenz der Funktionen, da sich sowohl die poetische als auch die metasprachliche Funktion gegenseitig durchdringen. Die ästhetische Übersetzung der Schriftzeichen ist dabei ein besonderes Spezifikum ihres Schreibens, das die literarische Qualität unterstreicht.
2. 1:1 Übersetzung der einen Kultur in eine andere?
Wie übersetzt man eine Kultur? Können Mentefakte[6] (Posner 2003: 49) 1:1 übersetzt werden? Wie funktioniert ein Äquivalent zwischen zwei kulturellen Primärkodes? Bei Tawada geschieht dies über die literarische Übersetzung der Schriftzeichen hinaus und das explizite Verbalisieren des kognitiven Bereichs, zusätzlich durch die Übersetzung von Aspekten des kognitiven Bereichs, die mit den denotativen Inhalten japanischer ins Alphabet transkribierter Wörter korrelieren. Im Essay Baumkuchen meint zum Beispiel der Ich-Erzähler:
Die Fremdwörter aus dem Deutschen, die auch heute noch sehr häufig im Alltag verwendet werden, haben jedoch wenig mit Musik, Philosophie oder Literatur zu tun. Das Wort „Arbeit“ zum Beispiel, das manchmal abgekürzt „Bait“ ausgesprochen wird, bedeutet Stundenjob. Japanische Studenten bezeichnen das, was deutsche Studenten „Job“ nennen, als „Arbeit“ (122).
Die metasprachlichen Eingriffe Tawadas gelten dem Explizieren des Fremdwortes „Bait“. Dies ist zum einen ein eklatantes Beispiel dafür, dass sowohl denotative als auch konnotative Bedeutungen durch (kulturelle) Konventionen festgelegt sind,[7] zum anderen können Mentefakte nicht 1:1 übersetzt werden, auch nicht bei der Übernahme von Fremdwörtern. Dies entspricht Tawadas Sprachreflexionen nach denen Übersetzungen Metamorphosen[8] sind, daher performiert die deutsche Bedeutung von „Job“ als Geldverdienen bzw. vorübergehende Beschäftigung,[9] ihre theoretischen Sprachreflexionen zur Übersetzung, indem die unterschiedlichen affektive Inhalte des Signifikats „Arbeit“ vorgeführt werden.
Die literarische Übersetzungsarbeit Tawadas besteht in erster Linie darin, die Korrelation des Begriffs zwischen sozialem Umfeld und Ist-Zustand, demzufolge die Korrelation des sozialen Umfelds und des kognitiven, assoziativen und emotiven Bereichs zu verbalisieren, um dadurch kulturelle Unterschiede evident zu machen. Interessanterweise belegt Batsalia (1997: 54) aus linguistischer Sicht, dass das letztendlich realisierte Lautzeichen jenes Sprechers der Korrelation des sozialen Umfelds mit dem kognitiven, assoziativen und emotiven Bereich entspringt. Die Tatsache aber, dass hier dieser Ist-Zustand metasprachlich über die Fiktion beschrieben wird, unterminiert dann doch die Zusammenhänge. Dem deutschen Leser des Essays wird bewusst, dass eigenkulturelle Elemente des Zusammenhangs zwischen sozialem Umfeld und Kognition, Assoziation bzw. Emotion in anderen Kulturen beweglich transferiert werden können, auch wenn es sich um die Übernahme desselben Signifikanten handelt. Man könnte metaphorisch behaupten, dass eine kulturelle nicht-Äquivalenz angestrebt wird.
Zweifelsohne klingen hier Elemente jener postkolonialen Theorie der Mehrfachkodierungen (Suppanz 2003: 27) an, nach der die Abhängigkeit der Zuschreibungen vom jeweiligen Kontext determiniert wird. Kultur ist danach dynamisch aufzufassen, indem binnengesellschaftliche und transnationale Aspekte berücksichtigt werden. Als binnengesellschaftlich ist das soziale Umfeld zu bezeichnen und als transnational Austauschprozesse und Transfers – wie eben jener Fremdwörter – innerhalb verschiedener Netzwerke, die wiederum die Reduktion der Kultur auf „Nationalkultur“ und territoriale Grenzen unterlaufen. Der kulturellen nicht-Äquivalenz Tawadas liegt demzufolge ein dynamischer Kulturbegriff zugrunde.
Diese subversive Haltung gegenüber dem Ist-Zustand geht an anderen Stellen des Essays bis auf die Lautebene.
Das deutsche Wort, das meiner Meinung nach in Japan am häufigsten in den Mund genommen wird, ist „Baumkuchen“. […] Vielleicht liegt es an dem Vokal „i“, warum die Lakritzen, […] nicht in Japan eingewandert sind. Bei ihnen ist nämlich der Vokal „i“ zu stark präsent. Dagegen haben die japanischen Süßigkeiten immer ein „a“ oder ein „o“ in ihren Namen wie Monaka, Anko, Amanatoo oder Yookan. (123)
Die Analyse des affektiven Bereichs zielt darauf ab, die affektive Wirkung von Phonemen als ausschlaggebend für die Rezeption eines Artefakts in einer anderen Kultur darzustellen. Sinnkonstruktionen sind viel wichtiger als Artefakte selbst, was wiederum darauf hinweist, dass die Adaption eines fremden Artefakts auf vertraute Lautzeichen zurückzuführen ist, und dass es schließlich die Zeichen sind, die kulturelle Konventionen konstruieren, die wiederum von den jeweiligen Umkodierungen der Zeichen abhängig sind.
Semiotisch gesprochen untergräbt Tawada die Autonomiethese, der zufolge Grapheme (Buchstaben) noch keine Zeichen sind, da sie nichts bedeuten. Durch ihr literarisches Schaffen liefert sie eher Beispiele für die heteronome Auffassung der Schrift, da sie belegt, dass jedes einzelne Graphem das Zeichen eines Phonems ist. Indem das Graphem auf andere lautliche Elemente der Sprache verweist, übernimmt es die Funktion eines sekundären Zeichens und ist sprachliches Metazeichen (Nöth 2000: 361). In der Fiktion Tawadas ist es ein Meta-Metazeichen, von dem behauptet wird, dass es entschieden die Sinnkonstruktion mitbestimmt. Im Grunde genommen, bedient sich Tawada erneut Derridas Spuren-Begriff. Aufschlussreich ist dabei, dass sie im Essay Sprachpolizei und Sprachpolyglotte, in dem es wieder um das Spiel der Buchstaben geht, zum dem Schluss kommt, dass die Ich-Erzählerin von der Lust ergriffen ist, die Buchstaben durcheinanderzubringen, „um dem Spielplatz Wörterbuch seine poetische Ausstrahlung zurückzugeben“ (Tawada 2007: 37). Die praktizierte Polysemie gilt infolge dessen dem Spiel der Buchstaben, deswegen werden im Essay Baumkuchen keine Übersetzungen der Schriftzeichen vorgenommen, sondern es werden japanische Wörter gleich ins Alphabet transkribiert. Folglich erreicht ihr Schreiben die Qualität eines poetischen Wörterbuchs, was als Unikum die Qualität ihrer Schreibweise ausmacht und die kulturvermittelnde Funktion ihrer Schriften exemplifiziert, da es sich schließlich um ein poetisches deutsch-japanisches Wörterbuch handelt. Seine Inhalte sind jedoch nicht statisch, sondern müssen auf der Basis der Fiktion ständig hergestellt werden, da in einem Wörterbuch das eine Wort ständig auf das andere Verweist, was zu ständigen Sinnzuweisungen führt (Kimmerle 2000: 36).[10]
Fazit: Tawadas Essays performieren einen dynamischen Kulturbegriff. Durch kulturelle Übersetzungen wird ein flexibler Umgang mit Differenzen postuliert, da diese je nach Situation kontextabhängig gesichtet werden. Im Grunde genommen liegt Tawadas Schriften folgendes semiotisches System zugrunde:
Primärkode Interpretationen sekundäres Bedeutungssystem
Tawadische Poesie = Ästhetische Übersetzung der Schriftzeichen + kulturelle Übersetzungen
kommunikative Funktion als Kulturvermittlung
Auf der Basis der Primärkodes ihrer deutschsprachigen Essays erfolgen Interpretationen auf metasprachlicher Ebene. Dieses sekundäre Bedeutungssystem drückt die Tawadische Poesie aus, die aus der ästhetischen Übersetzung der Schriftzeichen und überhaupt aus kulturellen Übersetzungen besteht. Die Funktion, die der Poesie Tawadas zugrunde liegt, ist im Grunde genommen eine kommunikative Funktion, da in Bezug auf deutschsprachige Leser Kulturvermittlung intendiert wird. Die Tatsache jedoch, dass sie ihr Schreiben als poetisches Wörterbuch strukturiert und kulturelle Übersetzungen sogar auf der Schriftebene versucht, zeugt zweifelsohne von einer regen Experimentierlust und der Originalität ihres Schreibens.
Literaturhinweise
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TAWADA, Yoko. Sprachpolizei und Spielpolyglotte. Tübingen: konkursbuch 2007.
WAHRIG. Deutsches Wörterbuch, Gütersloh: Bertelsmann 61997.
[1] Ähnliche Beispiele solcher Metaphern siehe Sonesson, (2003).
[2] Für den Aspekt der Konvention und der Abstraktion siehe Rozik, (2003).
[3] The third space ist als ein symbolischer Raum zu verstehen, als eine Kontaktzone, wo die selben Zeichen „neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen werden können“. Bhabha, 2000.
[4] Nach Derrida ist die „Spur“ das Simulacrum eines Anwesens, das sich ständig auflöst und verschiebt. Vgl. Derrida, 1976.
[5] Tawada bezieht sich hierbei auf die Ausgabe: Allemann, Beda/Reichert, Stefan (Hrsg.): Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. 1, Frankfurt a.M. 1983, 211.
[6] Als Mentefakte sind die mentalen Kulturen jeder Gesellschaft zu verstehen, die das Verhalten der Individuen in einer Gesellschaft bestimmen.
[7] Aus linguistischer Sicht siehe Batsalia 1997, 52.
[8] In Tawadas Essay Das Tor des Übersetzers oder Celan liest japanisch aus dem früheren Band Talisman heißt es: „Die Übersetzung ist nicht Abbild des Originals, sondern in ihr bekommt eine Bedeutung des Originals einen neuen Körper“ (139).
[9] Nach Wahrig drückt das Lema ”Job“ eine vorübergehende Beschäftigung, Stellung, Gelegenheit zum Geldverdienen aus, siehe: Wahrig. Deutsches Wörterbuch, Gütersloh: Bertelsmann 61997.
[10] In diesem Sinn ist der Hinweis von Kimmerle in Bezug auf die Auffassung der Schrift als lesbare Spur zu verstehen, dass nämlich die Bedeutung der Spur bei Derrida darauf hinausläuft, dass sich Bedeutung ständig verändert und in stetigen Verweisungszusammenhängen erfasst werden muss.